Wie lange gilt die Unschuldsvermutung?
In dubio pro reo.

Im Strafprozess gilt der Grundsatz, dass im Zweifel immer zu Gunsten des Beschuldigten beziehungsweise Angeklagten zu entscheiden ist. Darüber hinaus ist ein Beschuldigter solange unschuldig, bis das Gegenteil rechtskräftig entschieden wurde. Aus diesem Grunde darf es auch nicht nachteilig gewertet werden, wenn ein Beschuldigter in seiner ersten Vernehmung von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht.
Wie sieht es aber aus, wenn der Beschuldigte nicht von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, sondern sich aufgrund der Annahme, sich schuldig gemacht zu haben, eine falsche Aussage tätigt? Eine Aussage darf immer verwertet werden, auch zu Lasten des Beschuldigten.
Das Amtsgericht Potsdam hatte kürzlich einen Fall zu entscheiden, in welchem dem Angeklagten durch die Staatsanwaltschaft zur Last gelegt wurde, eine größere Menge Abfall in der Landschaft entsorgt zu haben. Der Beschuldigte war im Ermittlungsverfahren vernommen worden. In der Vernehmung wurde ihm bewusst, dass er am Tattag in unmittelbarer Nähe des Tatorts war und somit auch die Möglichkeit der Tatbegehung hatte, da er mit einem LKW unterwegs gewesen ist. In der Vernehmung wurde ihm ein handschriftlicher Zettel vorgehalten, der am Tatort aufgefunden wurde und unter anderem neben dem Datum des Tattages auch das Kfz-Kennzeichen des LKWs enthielt. Er bestritt, jemals am Tatort gewesen zu sein. Die Ermittler sahen jedoch aufgrund des aufgefundenen Zettels den Nachweis der Tat als so wahrscheinlich an, dass Anklage erhoben wurde.
In der Hauptverhandlung gab der Angeklagte zu, bei einer Pause am Tattag in der Nähe des Tatorts gewesen zu sein und möglicherweise den aufgefunden Zettel aus seinem Fahrzeug geworfen zu haben. Allerdings bestritt er weiterhin die rechtswidrige Abfallentsorgung. Bis zu der entscheidenden Zeugenvernehmung war das Gericht trotz der weiteren vorgelegten Beweise nicht von der Unschuld des Angeklagten überzeugt, da er zunächst bestritten hatte, überhaupt am Tatort gewesen zu sein. Glück hatte der Angeklagte jedoch, als eine Zeugin aussagte, dass die rechtswidrige Abfallentsorgung bereits vor dem Tag, an dem der Angeklagte seinen datierten handschriftlichen Zettel verloren hatte, durch die Zeugin festgestellt worden ist. Dies überzeugte nun auch das Gericht und es erfolgte der Freispruch.
Nur aufgrund der unüberlegten vorschnellen Einlassung bei seiner ersten Vernehmung wollte man dem Angeklagten im weiteren Verlauf des Verfahrens keinen Glauben mehr schenken. Aus diesem Grunde sollte man sich bereits vor der ersten Vernehmung anwaltlichen Rat einholen. Bis dahin ist es besser, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen. Der Verfasser des Artikels ist Rechtsanwalt Sven Horn, Fachanwalt für Strafrecht.